European Karate

Bälz und das Kano Jiu-Jitsu

Bälz erklärt das Kano Jiu-Jitsu

Erwin von Bälz 1912

Nach seiner Rückkehr aus Japan wurde Erwin Bälz vom württembergischen König 1905 in den persönlichen Adelsstand erhoben. In diese Zeit hinein schrieb der frühere japanische Hofarzt auch die Einführung für das Lehrbuch „Das Kano Jiu-Jitsu (Jiudo)“ von Hancock und Higashi, das zur deutschen Bibel des Judo wurde. Das Buch galt seinerzeit als das offizielle Jiu-Jitsu der japanischen Regierung, heute ist es ein selten gewordenes, begehrtes Sammlerstück.

Einführung zur deutschen Ausgabe von Erwin Bälz:

Mit Vergnügen komme ich der Aufforderung des Verlegers, Herrn J. Hoffmann, nach, eine kurze Einleitung zur deutschen Ausgabe von Hancocks und Higashis „Kano Jiu-Jitsu“ zu schreiben. Die Berechtigung dazu finde ich erstens darin, dass ich selbst bei der Wiederpopularisierung von Jiu-Jitsu in Japan mitwirkte, und zweitens aus meiner langjährigen Bekanntschaft mit Professor Djigoro Kano, dessen Namen das Buch trägt, und in der Vertrautheit mit seiner Methode.
Auch dürften dem Leser einige Bemerkungen über die Bedeutung, den Ursprung und die Entwicklung von Jiu-Jitsu willkommen sein, da die Verfasser sich über diesen Punkt ganz ausschweigen. Es finden sich nur gelegentlich Andeutungen, die den Eindruck erwecken, dass Jiu-Jitsu eine Jahrtausende alte japanische Spezialität sei. Das ist aber ganz falsch. Denn diese Kunst ist weder rein japanischen Ursprungs, noch ist sie auch nur annähernd so alt, als man uns glauben machen will. Zunächst ein paar Worte über Sinn, die Aussprache und Schreibweise des Ausdrucks Jiu-Jitsu.
Jiu-Jitsu heißt die sanfte oder milde Kunst. Es hat diesen Namen, weil es befähigen soll, ohne Waffen einfach durch geschickte Griffe und Kniffe einen Bewaffneten zu bezwingen, oder einen an Körperkraft überlegenen Angreifer unschädlich zu machen, ja zu töten. Die Gymnastik des Jiu-Jitsu war also ursprünglich nicht Selbstzweck, wie andere gymnastische Systeme, sondern war eine höchst wertvolle Selbsthilfe in einer Zeit, wo es in Japan eine halbe Million selbstbewusster Zweischwertmänner mit übertriebenem Standesbewusstsein gab, die nur zu leicht in Versuchung kamen, ihre Fechtkunst und die Schärfe ihrer Klingen zu probieren. Im modernen Japan ist das anders.
Da ist der Bürger vor einem Angriff ebenso sicher wie im bestgeordneten Staate Europas. Daher wird dort Jiu-Jitsu als ernstes Kampfmittel hauptsächlich den Polizisten und neuestens den Soldaten gelehrt, und zwar lernen diese natürlich auch die lebensgefährlichen Griffe und Kniffe, die nicht in Betracht kommen, wo Jiu-Jitsu nur als Gymnastik betrieben wird, wie in den Schulen und wie in der von Kano selbst geleiteten Anstalt. Durch die gefährlichen Tricks wird den Gegnern der bei uns neuen Kunst, wie es die Vertreter der bisherigen Ringkunst und anderer Sportsysteme naturgemäß sind, eine Waffe in die Hand gegeben.
So konnte es kommen, dass in einer großen Zeitung Berlins jemand, dessen Urteil durch „keinerlei Sachkenntnis“ getrübt war, Jiu-Jitsu eine wüste Prügelei nannte, während es doch auf Gottes Erden kein Athletensystem gibt, auf welches das Wort Prügelei weniger passt. Denn Selbstbeherrschung und gentlemanhaftes Benehmen zeigen dieselbe Ruhe und Würde - ob man Sieger oder Besiegter ist - das sind Dinge, die dem Jiu-Jitsu Schüler vom ersten Tag an als Grundbegriffe beigebracht werden.

 

Judo-Gründer Jigoro Kano

Prof. Kano, von dessen Methode unser Buch handelt, nennt übrigens sein System nicht Jiu-Jitsu, sondern Djudo. Der Sinn ist wesentlich derselbe. In beiden Fällen heißt dju sanft, aber während djitsu – ursprünglich djutsu geschrieben – eine mehr mechanische oder technische Kunst bedeutet, ist do die Bezeichnung für eine religiöse oder ethische Lehre, wie Shinto = Lehre (oder Weg) der Götter, Butsudo = Lehre Buddhas, Djudo = Lehre des Confucius. Durch die Wahl des Wortes Djudo statt Jiu-Jitsu will Kano anzeigen, dass er seine Methode auf eine höhere Basis stellen möchte, als auf die einer rein körperlichen Übung; und jeder, der ihn kennt und in seiner Wirksamkeit gesehen hat, weiß, dass ihm dies gelungen ist. Jiu-Jitsu wird im Deutschen gewöhnlich Dschiudschitsu geschrieben, aber mit Unrecht. Der erste Laut entspricht genau dem englischen j oder dem italienischen gi in giorno. Ebenso wie aber bei diesen Lauten dj der Aussprache der Einheimischen sehr viel näher kommt als dsch, so auch hier. Denn das Weiche liegt nicht im Explosivlaut d oder t, sondern im Zischlaut sch, und da wir im Deutschen kein weiches sch haben, so wird Jiu-Jitsu nach meiner Erfahrung genau so ausgesprochen wie Tschutschitsu; und die Leute sprechen das Wort richtig erst, wenn man sie statt dsch dj sagen lässt. Das Schluss-u wird kaum gehört. Ferner muss betont werden, dass das u in Dju lang ist. Spricht man es kurz aus, so hat das Wort für den Japaner einen ganz anderen Sinn. Denn Jiu-Jitsu mit kurzem u heißt Hexerei oder Magie, Djudo mit kurzem u heißt Lehre des Confucius.
Was nun den Ursprung von Jiu-Jitsu betrifft, so ist es ein Märchen, wenn in der englischen Ankündigung von „Kano Jiu-Jitsu“ gesagt wird, diese Kunst werde seit 2500 Jahren in Japan praktiziert. In Wahrheit ist dieselbe, wie fast alles in Japan, chinesischen Ursprungs und außerdem relativ neuen Datums. Um das Jahr 1650 lebte im Stadtteil Asakusa in Tokyo (damals Jedo genannt) ein Chinese namens Tshin Gembin. Dieser erzählte drei japanischen herrenlosen Samurai („Ronin“) von einer Kunst in China, durch welche man ohne Waffen andere überwältigen und Verbrecher verhaften könne. Er beschrieb ihnen diese Kunst und auf diese Beschreibung gründeten diese drei Männer - Fukueo, Fsome und Minra - das System, welches sie Jiu-Jitsu nannten.
Die Bestimmtheit dieser Daten ist eine Gewähr für ihre innere Wahrscheinlichkeit, und sie wurden auch früher nicht bezweifelt. Aber neuerdings ist es dem Nationalstolz vieler Japaner unbequem, dass Jiu-Jitsu von auswärts gekommen sein soll, und daher ignorieren sie diese Tatsache einfach oder sie gleiten darüber hinweg. Auf alle Fälle aber dürfen die Japaner es für sich in Anspruch nehmen, dass sie allein Jiu-Jitsu zu seiner heutigen Höhe gebracht haben.
Die neue Kunst verbreitete sich in den letzten Jahrhunderten rasch unter den Samurai; sie hat aber im nationalen Leben nie eine solche Rolle gespielt, wie die Wettkämpfe der eigentlichen Ringer (deren System von Jiu-Jitsu völlig verschieden ist) und deren Preisringen im Januar und Juni im Ekointempel in Tokio heute wie in alter Zeit ein großes Ereignis für die Hauptstadt bilden.
Im Anfang der modernen Ära, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, machte Japan eine sonderbare Periode der Verachtung alles Einheimischen und Eigenen durch.
Die eigene Geschichte, die eigene Religion, die eigene Kunst erschienen nicht der Rede wert, ja man schämte sich ihrer.
Fragte man nach einer wichtigen geschichtlichen Tatsache, so erhielt man nicht selten die Antwort: „Das hat kein Interesse, die japanische Geschichte beginnt erst jetzt!“
Alle körperlichen Übungen, Schwertfechten, Jiu-Jitsu wurden in den Bann getan.
Die damals junge Generation und auch ihre Lehrer hatten für nichts Sinn, als für Lernen, Lernen, Lernen der europäischen Wissenschaft.

 

Ein Foto aus dem Lehrbuch "Das Kano Jiu-Jitsu"

Die Studenten an der kaiserlichen Universität waren dürftige, schlecht genährte, überanstrengte Jungen, die in ihrer Wissbegier oft buchstäblich ganze Nächte durch arbeiteten, und sich keinerlei körperliche Ruhe oder Übung gönnten.
Meine Bemühungen bei den Behörden um Errichtung eines Turnplatzes und einer Turnhalle waren vergeblich.
Das nationale Schwertfechten, das ich empfahl, wurde als roh, und weil man gelegentlich einen schmerzhaften Hieb auf den Kopf bekam, als gefährlich zurückgewiesen.
Erst als ich, um diese Vorurteile zu entwaffnen, selbst beim berühmtesten Fechtlehrer Unterricht nahm, und als dies in den Zeitungen bekannt wurde, erwachte das Interesse für das alte Fechten wieder. Denn wenn ein Fremder und noch dazu der Professor der Medizin an der damals einzigen Universität des Landes ein Jünger dieser Kunst wurde, so konnte sie weder in den Augen des Westens barbarisch noch gesundheitsgefährlich sein.
Um diese Zeit war es auch, dass ich zuerst die Bekanntschaft mit Jiu-Jitsu machte.
Es war bei einem Besuch in der Provinzhauptstadt Tshiba.
Als beim Gouverneur die Rede auf die moderne Erziehung kam, klagte ich über den Mangel an Interesse für jeden Sport unter der schwächlichen Jugend der höheren Stände.
Der Gouverneur war ganz meiner Ansicht, und er bedauerte namentlich, dass eine vortreffliche, früher in Japan vielgeübte Kunst, nämlich Jiu-Jitsu, so ganz außer Gebrauch gekommen sei.
Es werde eigentlich nur noch in seiner Stadt gepflegt, wo ein alter Lehrer, Totsuka, seine Polizisten darin unterrichtet, die ganz Erstaunliches leisteten, und bei Verhaftung von Verbrechern den größten Vorteil davon hätten. Er veranstaltete am nächsten Tag eine große Vorstellung, wobei der über 70jährige Totsuka zuerst die Prinzipien von Jiu-Jitsu auseinandersetzte und die einzelnen Griffe vormachte.
Ich sah Dutzende von Wettkämpfen, und die Leistungen waren so erstaunlich, und es wurden scheinbar so halsbrecherische Griffe und Bewegungen und Würfe ohne den geringsten Schaden für die Kämpfenden ausgeführt, dass ich mir sagte, hier sei eine ideale Form der Gymnastik für meine Studenten.
Aber wieder hatte ich in Tokio kein Glück.
Der Direktor der Medizinschule, der die Sache nur vom Hörensagen kannte, und die anderen Herren an der Universität und im Unterrichtsministerium wollten von meinem Vorschlag, die Jiu-Jitsu-Leute von Tshiba zu einer Vorstellung nach Tokio zu rufen, nichts wissen.
Die Studenten, meinten sie, seien zur geistigen Arbeit da.
Eine Kunst, die in früherer Zeit, wo man sich gegen Bewaffnete zu schützen hatte, berechtigt war, habe jetzt keinen Zweck mehr.
Auch meine Bemerkung, dass es sich ja nur um die gymnastische Seite der Sache handle, fruchtete nichts.
Aber inzwischen hatten doch auch einige aktive und frühere Studenten der Universität Jiu-Jitsu aufgenommen, und namentlich der junge Gelehrte Kano wurde sein eifriger Apostel.
Als auch er und seine Genossen baten, dass die Universität die Jiu-Jitsu-Kämpfer aus Tshiba kommen lassen möge, wurde endlich willfahren, und es fand ein großes Wettringen in der Aula der Universität statt.
Dabei zeigte sich freilich auch, wie viele Übung die Erlernung der Kunst forderte.
Denn von allen den jungen Männern in Tokio war keiner, auch Kano nicht, ein „match“ für irgendeinen der Polizeioffiziere.
Tags darauf kam der alte Totsuka mit seinem besten Schüler Sato zu mir, um mir für meine Bemühungen zu danken, und um mich um mein Bild zu bitten, das er bis ans Ende seines Lebens verehren werden.
Ich sehe ihn noch heute vor mir, den ehrwürdigen Greis, wie er mit Tränen der Freude und Rührung in den Augen vor mir stand. Es sei zwar beschämend für ihn als Japaner, sagte er, dass ein Ausländer seinen Landsleuten habe sagen müssen, was sie an Jiu-Jitsu haben, aber er wisse doch jetzt, dass die geliebte Kunst wieder zu Ehren kommen werde, und so könne er in Frieden in die Grube fahren.
Totsuka hat Recht gehabt. Jiu-Jitsu ist zu Ehren gelangt. Dieselben Gelehrten und Beamten, die es früher verachteten, haben ihre Söhne und Enkel darin unterrichten lassen. Als ernstes Mittel der Verteidigung und des Angriffs wird es heute hauptsächlich Polizisten und neuestens einigermaßen auch Soldaten gelehrt.
Seine Hauptbedeutung aber hat es erhalten als Erziehungs- und Kraftmittel für die Jugend beider Geschlechter. Denn auch die Mädchen in den höheren Töchterschulen werden Jiu-Jitsu gelehrt, mit erstaunlichem Erfolg, wie ich aus dem Vergleich der jungen Damen der japanischen Aristokratie von heute mit denen vor zwanzig Jahren bezeugen kann.
Neuerdings wurde Jiu-Jitsu aber auch in englischen und amerikanischen Schulen für junge Mädchen eingeführt, so z.B. in Girton College, wo es mit großer Begeisterung geübt werden soll.

 

Das Deckblatt zur deutschen Ausgabe

Dass Jiu-Jitsu in den Schulen und bei der jetzt eben erwachsenen Generation überhaupt so populär wurde, ist wesentlich das Verdienst von Professor Djigoro Kano, der eine angesehene und einflussreiche Staatsstellung aufgab, um sich ganz der Verbreitung seiner Lieblingskunst zu widmen. Das in diesem Buche geschilderte Kuatsu, d.h. die Wiederbelebung Bewusstloser oder Scheintoter hätte vielleicht kürzer gefasst werden können.
Kano hat dem Jiu-Jitsu eine moralische Seite abgewonnen und hat sie ausgebildet, indem er die strengste Selbstbeherrschung nicht bloß in körperlicher Hinsicht, sondern auch in Beziehung auf den Charakter lehrt. Die Schule der Disziplin, durch welche der Anfänger gehen muss, ist wahrlich nicht leicht. Es wird ihm eingeprägt, dass Jiu-Jitsu eine Übung für Gentlemen ist, zu deren Wesen es gehört, dass sie sich durch nichts aus der Fassung und Würde bringen lassen; dass sie alle Regeln und Befehle des Lehrers, ob sie auch hart scheinen, ohne Murren und mit freundlicher Miene befolgen; dass sie unter keinen Umständen sich zu Ärger und Heftigkeit hinreißen lassen; dass sie eine Niederlage im Wettkampf mit derselben Ruhe hinnehmen, wie einen Sieg.
Ich habe oft den Übungen in Kanos Schule beigewohnt, auch bei festlichem Wettsport; ich habe wohl an die tausend Paare dort ringen gesehen, und immer musste ich bewundern, mit welcher einfachen Ruhe und vornehmen Würde alles vor sich ging.
Bei diesen vielen Wettkämpfen kam nicht ein einzigesmal irgendwelche Verletzung vor; und das will etwas heißen, wenn man bedenkt, dass viele der Griffe, wenn übertrieben markiert, einen Knochenbruch oder eine Verrenkung herbeiführen können.
Die höheren Grade von Jiu-Jitsu setzen eine eiserne Geduld im Üben voraus, und diese Geduld wird oft vom Lehrer auf eine harte Probe gestellt. Ferner ist natürlich eine Geschmeidigkeit der Gelenke und Gewebe notwendig, wie sie eben nur die Jugend besitzt. Daher wird in der Regel schon im Knabenalter begonnen und es werden keine Schüler über 18 Jahre angenommen. Als ich mit 30 Jahren Unterricht in Jiu-Jitsu nehmen wollte, fand ich keinen Lehrer, man fürchtete, dass ich mich ernstlich verletzen könne.
Später wurde eine modifizierte Form auch für Ältere eingeführt, aber dass auch sie nicht ungefährlich ist, musste einer meiner Bekannten am eigenen Leibe erfahren. Dieser, ein englischer Oberst, sagte mir, er wolle Jiu-Jitsu lernen.
Ich warnte ihn, da seine Knochen und Gelenke schon zu starr seien.
Aber er versicherte lächelnd, von Jugend auf ein Athlet zu sein, und dasselbe leisten zu können, wie die kleinen „Japs“.
Aber nach einigen Monaten brach er bei einer Übung auf den weichen japanischen tatami (d.h. zolldicke Matten, nicht die dünnen „gosa“, die man jetzt in Europa als japanische Matten vielfach sieht) das Wadenbein, als ihn sein Gegner, der ihn in die Höhe gehoben, mit Gewalt wieder niederstieß.
Fallen lernen, lernen wie man die Füße und die Hände dabei hält, wie man den Rücken stets möglichst krümmt, um nicht mit einer großen Fläche aufzufallen – das ist die erste Übung.
Und in der Tat ist es dem Zuschauer fast unfasslich, wie ein Ringer, der mit solcher Gewalt auf den Boden geworfen wird, dass man die Knochen krachen zu hören glaubt, in der nächsten Sekunde wie ein Gummiball wieder aufspringt und weiter kämpft, als wäre nichts geschehen.
Man hat Jiu-Jitsu als „Siegen durch Nachgeben“ bezeichnet. Das ist im wesentlichen richtig; denn während man beim gewöhnlichen Ringen Kraft gegen Kraft setzt, benützt man bei Jiu-Jitsu die Kraft des Gegners gegen ihn selbst.
Sobald man sieht, in welcher Richtung er drängt, gibt man nicht bloß nach, sondern unterstützt seine Bewegung in dieser Richtung durch Zug oder Schub, wodurch er natürlich von selbst zu Fall kommt; denn wenn er vorgebeugt gegen einen Widerstand andrängt, und dieser Widerstand wird plötzlich weggenommen, so stürzt er entweder von selbst vornüber, oder es genügt doch ein ganz leichter Zug, um dies zu bewirken.
Eine große Rolle spielt auch die Störung des Gleichgewichts des Gegners durch seitliches Wegstoßen seines Fußes mit dem eigenen Fuß. Daher steht der Jiu-Jitsu-Mann stets breitspurig und hütet sich, das ganze Körpergewicht auf einem Bein ruhen zu lassen.
Zu den merkwürdigsten Kniffen (so übersetze ich das englische Trick) gehört es, seinen Gegner über die Schulter weg zu werfen, oder, wenn er auf einem kniet, während man flach auf dem Rücken liegt, ihn über den Kopf wegzuschleudern.
Die Erklärung dafür ist im Buche gegeben, soweit sie sich überhaupt ohne wirkliche Anschauung geben lässt. In Wahrheit lässt sich Jiu-Jitsu nur durch Praxis lernen, und dazu gehören mindestens zwei, von denen der eine ein Lehrer sein muss. In Amerika, in England und in Österreich werden die Polizisten bereits von Japanern in Jiu-Jitsu unterrichtet.
In Deutschland aber scheint man sich in den entsprechenden Kreisen noch gegen die Anerkennung zu sträuben, dass man von den Vertretern der gelben Rasse etwas zu lernen hat, und daher hat man bei uns noch keine Gelegenheit, Jiu-Jitsu praktisch zu studieren. Aber früher oder später muss man es doch auch bei uns einführen, und da wäre es besser, es gleich zu tun, anstatt den anderen nachzuhinken.
Bis dieses geschieht, ist man auf das Studium aus Büchern angewiesen, und da ist es ein großes Verdienst, dass Jiu-Jitsu wenigstens auf diesem Weg den deutschen Sportkreisen zugänglich gemacht und das Interesse dafür in weite Kreise unseres Vaterlandes getragen wird.

Das Vorwort von Erwin Bälz hat Renshi V. Blech aus seinem privaten Exemplar von „Das Kano Jiu-Jitsu“ entnommen und nur sehr geringfügig der modernen Schreibweise angepasst.